Wiesbaden.
- Das Land Hessen wird für bestimmte Streitigkeiten die obligatorische außergerichtliche
Streitschlichtung einführen, ohne deren Versuch zukünftig kein Verfahren vor
den Amtsgerichten beginnen kann. Das hessische Kabinett beschloss an diesem
Dienstag nach der Anhörung der Verbände, den entsprechenden Gesetzentwurf vom
Mai 2000 in das Gesetzgebungsverfahren in den Hessischen Landtag einzubringen.
Es kann davon ausgegangen werden, dass das Gesetz im ersten Halbjahr 2001 in
Kraft tritt.
Nach
dem Entwurf wird für alle Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von
1.200,--DM, Nachbarstreitigkeiten sowie Verletzungen der persönlichen Ehre
(Beleidigungen etc.), soweit es keine Pressedelikte sind, eine Streitschlichtung
Pflicht, bevor die Klage beim Amtsgericht eingereicht werden kann.
Schlichtungsstellen sollen insbesondere die rund 730 Schiedsämter werden, aber
auch juristische Personen (etwa Industrie- und Handelskammern [IHK],
Anwaltskammern, Verbraucherverbände etc.) sowie natürliche Personen (Rechtsanwälte
und Notare) können ihre Anerkennung als Gütestelle beantragen.
„Mit
der Schaffung der obligatorischen Schlichtung geben wir den Bürgern die Möglichkeit,
ihre Streitigkeiten ohne die Einschaltung des Gerichts zu regeln und somit
unmittelbar vor Ort Frieden zu sichern und Rechtsklarheit zu schaffen", erläuterte
der hessische Justizminister den Gesetzentwurf. „Bisher haben wir mit den
Schiedsämtern, in denen engagierte Schiedsmänner und –frauen arbeiten, sehr
gute Erfahrungen gemacht, die - wie wir hoffen - zur Vermeidung vieler Klagen
vor den Amtsgerichten beitragen". Möglich bleibt aber auch die
Inanspruchnahme einer freiwilligen Streitschlichtung, die es etwa bei
verschiedenen Wirtschaftsverbänden (Kfz-Innung, Reinigungsgewerbe, Industrie-
und Handelskammern etc.) gibt und nach deren Scheitern dann ebenfalls die Klage
eingereicht werden kann.
Vom
Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Gesetzes an können Klagen zu den
Amtsgerichten erst dann eingereicht werden, wenn bei einer anerkannten Gütestelle
der Versuch unternommen worden ist, die Auseinandersetzung einvernehmlich
beizulegen.
Dies
gilt dann für folgende Klagen:
-
vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Wert von 1.200,-- DM,
-
Ansprüche aus § 906 (Einwirkungen auf Grundstücke), § 910 (Überwuchs), §
911 (Hinüberfall), § 923 (Grenzbaum) des Bürgerlichen Gesetzbuches
(BGB),
-
Ansprüche aus dem Hessischen Nachbarrechtsgesetz, soweit es nicht um einen
Gewerbebetrieb geht,
-
wegen Ansprüchen aus Verletzung der persönlichen Ehre, die nicht in Presse und
Rundfunk begangen worden sind.
Voraussetzung
ist zudem, dass beide Parteien im gleichen Landgerichtsbezirk wohnen oder hier
ihren Geschäftssitz bzw. eine Niederlassung haben. „Wir wollen, dass bei dem
Versuch der Streitschlichtung keine hohen Reise- und Verfahrenskosten
entstehen", meinte Wagner dazu, „zudem setzen wir auf die örtliche Nähe
der Schlichter, die oft über Kenntnisse verfügen, die Außenstehenden nicht so
leicht zugänglich sind".
Wird
das Verfahren vor einem Schiedsamt durchgeführt, so fallen in der Regel Kosten
in Höhe von 20,-- bis 75,-- DM für das Verfahren an. Wichtig ist dabei noch,
so betonte Wagner, dass vor den Schiedsämtern und den Notaren ein wirksamer
Vergleich abgeschlossen werden kann, aus dem die Zwangsvollstreckung möglich
ist, wenn er nicht freiwillig erfüllt wird. Zudem müsse jede nicht öffentliche
Gütestelle eine Haftpflichtversicherung mit einer Mindestsumme von 500.000,--
DM nachweisen, bevor sie anerkannt wird. „Damit wollen wir auch die Parteien
absichern, damit sie nicht unter möglichen Fehlern leiden müssen",
unterstrich Wagner. Zudem muss jede Schlichtungsstelle eine Verfahrensordnung
vorlegen, in denen die Rechte der Parteien geregelt sind. „Wir werden sehr
darauf achten, dass es hier ein faires Verfahren gibt", meinte der Minister
weiter.
Nach
der neuen Handhabung durch die hessische Regelung wird das Gesetz zunächst auf
drei Jahre befristet. „Bis zu diesem Zeitpunkt können wir genügend
Erfahrungen sammeln, um zu sehen, ob sich das Gesetz bewährt", sagte der
Justizminister weiter. Da bisher in Deutschland keine Erfahrungen mit
Pflichtschlichtungen bestehen, müsse man sehr genau beobachten, ob die Bürger
die Gütestellen zur Schlichtung ihrer Auseinandersetzungen
akzeptierten.
Hinweis:
Der Bundesgesetzgeber
hat durch die Schaffung des § 15 a EGZPO (Einführungsgesetz zur
Zivilprozessordnung) für die Länder seit dem 1.1.2000 die Möglichkeit
geschaffen, für bestimmte Verfahren vor der Verhandlung durch das Amtsgericht
eine außergerichtliche Streitschlichtung verpflichtend vorzusehen.
Ausgenommen
von der obligatorischen Streitschlichtung sind Streitigkeiten in Familiensachen,
Wiederaufnahmeverfahren, Urkunden- und Wechselprozesse, Klagen nach einem
Mahnverfahren, Adhäsionsverfahren und Vollstreckungsverfahren.
Beispiele
für die Anwendung der obligatorischen Streitschlichtung sind:
-
Anspruch auf 800,-- DM aus Malerarbeiten in einer Wohnung, wenn der Maler im
gleichen Landgerichtsbezirk wohnt,
-
Ansprüche aus einem Kaufvertrag über einen gebrauchten Computer von 500,--
DM,
-
Streit um den richtigen Grenzabstand eines Baumes zwischen zwei Nachbargrundstücken,
-
Beleidigungen oder Verleumdungen zwischen Bürgern in einem
Landgerichtsbezirk.
In
Hessen gibt es neun Landgerichtsbezirke: Darmstadt, Frankfurt, Fulda, Gießen,
Hanau, Limburg, Marburg, Kassel und Wiesbaden.